Landgeschichten beim Kartoffelbauern am 20.09.19

auf dem Kartoffhof Reimer in Othfresen

Rückblick
 
Schon eine Stunde vor Beginn war der Anhänger von Bauer Reimer vollgeladen mit Neugierigen, die wissen wollten, woher die Kartoffel kommt. Eine Stunde später versammelten sie sich dann in der Reimerschen Kartoffelscheune, um so mancher Geschichte vom Land zu lauschen:
 
Da las Helgard Bunk aus den Erinnerungen des Döhrener Kurt Reichelt "Inne Reuben" an die mühselige Arbeit im Zuckerrübenanbau bis in die 50iger Jahre, und garnierte diese mit ihren eigenen Erinnerungen ans Pflanzen, Verziehen, Ernten der Rüben auf dem elterlichen Hof in Hary bei Baddeckenstedt. Kinder mussten dabei genauso selbstverständlich mitmachen wie die Großen.
 
Bauer Heinrich Reimer berichtete über die Geschichte seines Familienbetriebes und wie er zur Landwirtschaft kam. Und welch toller Spielplatz die Scheune für alle Kinder in Othfresen war. Doris Schwarz und Ursula Henk-Riethmüller lasen aus "Wir Bauern sind anders" von Matthias Stührnoldt (selbst Biobauer) jeweils eine Hommage an das Leben mit dem Milchvieh eines Biobauern.
 
Höhepunkt des Abends war - neben der Verköstigung mit Kartoffeln vom Hof Reimer, garnierten Eierhälften vom Hof Wulfert, Quark und Speck von der Lewer Däle –  der Beitrag von Tanja Wulfert aus Liebenburg. Die Kauffrau und Diplomwirtschaftsjuristin, die im International Student Office der Ostfalia-Universität arbeitet, hat vor fünf Jahren den Landwirt  Wulfert in Liebenburg geheiratet und hat, wie sie sagt, seither erstaunliche Einsichten in die Landwirtschaft und eine neue Sicht auf ihr Land und seine Leute bekommen. Diese präsentierte sie uns in Form eines Poetry Slam-Textes. Für sie eine absolute Premiere, für das begeisterte Publikum eine absolute Überraschung!!
 
Und last but not least gab es dann noch eine Demonstration der Kartoffelsortiermaschine in der Scheune.
 
Vielen Dank an Bauer Reimer, an seine Frau fürs Kartoffelkochen, an Frau Wulfert für die leckeren Eier und Tanja Wulfert für ihren Text! Und an das aufmerksame Publikum, das trotz wachsender Kälte bis zum Schluss ausharrte!

 

Für Interessierte hier der gelungene Poetry-Slam-Text von Tanja Wulfert:
 
Mein Bauer suchte sich seine Frau nicht im TV. Nein er ist ein Kind der 80´er, ein Teen der 90´er und Twen des neuen Jahrtausend. Genau. Und da sucht man nicht im TV.  
 
Lässt sich nicht zum Dummen machen, über den noch Dümmere dann lachen. Und bedient nicht den Voyeurismus einer Nation, die längst eine Meinung hat, mit Label drauf und Hashtag # schon.
 
Mein Bauer und ich sind Kinder der digitalen Neuzeit, die Daumenwurzel gut trainiert. Und suchen im WWW, was uns so interessiert.  In einer Welt, die kleiner wird, doch auf die sich Physik nicht anwendet, denn sie ist auch so voll, dass ihre Tiefe uns  gleichsam entfremdet.
 
Aber wir scheuen nicht uns hinzugeben und unsere Wünsche offenzulegen und daten das ist ja der Witz, im Web mit jemandem, der nur wenige Kilometer entfernt sitzt. Mein Bauer war ehrlich und nett und kein Poser, Protestler, Perverser im Net. Keiner dieser "Nettes Profil Pic Baby" sondern ein erstes "Ich suche meine Lady".  
 
Na und die Lady sollte nicht gebunden sein und irgendwie mit rein in Haus und Hof und Vieh und Land; unterm Strich also überaus tolerant für alles, was da käme, sein. Das schrieb er blank in seine erste Mail herein….. Mein Bauer. UV Strahlen dringen tiefer ins Gewebe als die flüchtigen Eindrücke unserer Zeit mit ihrem fast forward - Gelebe.  Wahrhaftigkeit jedoch, das schwindende Wesen, habe ich seither wieder öfter gesehen. Bei jenen, die häufig in Gummistiefeln stehen.
 
Mein Bauer, einer, der vieles in Gedanken durchexerziert, eher er es nach außen präsentiert. Das" Willst du" war dann doch schnell passiert. Und ich - "I do, I do , I do" - habe mich auch  nicht wirklich lange geziert.  
 
Das Kleid kam ohne Schleier aus, moderne A-Linie in creme.  Als hätt ich es gewusst, stand dies Synonym.  Nur Tage zuvor ward ein Schleier zu heben von dem, was war und ist und sein würde. Der Hof übergeben.
 Zusammen, versprachen wir uns, schultern wir jedes Problem.
 
Seither bin ich nun Angetraute eines Jungbauern, meines Bauern und bin doch keine Bäuerin.   
 
Vom Leben mit Hof und dem Weichen der "Alten", vom täglichen Sein und dem Familienverhalten, muss man nichts schreiben. Steht viel schon geschrieben und ist  bei uns nicht anders als bei Ihnen.  
 
Die größte Zäsur in unser aller Leben, die Geburt eigener Kinder wurde auch uns geschenkt. In davor und danach teilt sich plötzlich das eigene Leben und das Ego wird zur Seite gehängt.
 
Und ja, durch ein Kind da wandelt der Blick. Auf Freude auf Leid auf Risiko und Glück, doch bin ich noch ich und plane es zu bleiben, wünsche es mir sehr.  Ein Bauer zum Mann, da fällt es vielen jedoch schwer, das eine vom anderen zu trennen,  zu verstehen, dass das eine und das andere mit und nebeneinander stehen.
 
Das scharlachrote Bäuerinnen B auf der Stirn ist vielen Impuls zum Mockieren, Sinnieren und Kritisieren, zum Schmachten und Trachten und Achten.  Ohne sozialen Filter frei heraus wie sie es sonst nicht wagen. So´n Bauer ist zäh, dem kann man das sagen.
 
Mit frechem Zwinkern wird mir da eine Kittelschürze nahegelegt, jetzt als Bäuerin.  ;  Und wie sehr doch das Leben meiner Kinder bewegt. Die wachsen doch glücklich auf per Definition. Schnoddernas´ wie Schleckermund werden so ausgelegt:  "Die kommen vom Hof", das sähe man schon. Als wäre der Rest der Kinderschar ganz clean und prim schon mit einem Jahr.
 
Die Väter finden es toll, meine Mädchen können bei Papa auf dem Schlepper sitzen. Die  Mütter wollen lieber nicht drüber reden, am Ende lassen unsere Tiere ihr Leben für Steaks, die Väter sonntags lieben, und Wurst auf Broten, die Mütter ihren Kindern geben. Und so schließt sich der Kreis denn auch:  ich gebe meinen beiden `ne Scheibe mit Brot mit auf ihre Reise mit Papa im Schlepper zum Feld-Abendessen, denn sonst würden sie ihn zu sehr vermissen.
 
 
Bei uns wird doch sicher noch im Hause geschlachtet, spricht an, wer seinen Sehnsuchtsort im Lande wähnt, während der nächste mich offen verachtet für
MEINEN Anteil an der Umweltmisere, die ohne die Bauern ja gar keine wäre. Spricht´s ,steigt in sein` SUV und fährt fort,  vom Eier-Holen bei uns, innerort.
 
Warum unsere Hühner heute nicht draußen sind, die wollen doch raus und wir quälen sie bestimmt. Wie lass` ich `nen Mensch mit dem Schirm in der Hand sehen, dass Hühner die Freiheit haben zu wählen, ob sie im Warmen verweilen oder  im Regen stehen.
 
Und wie man sich doch empören kann. Die Hühner legen die größten Eier nicht täglich sondern dann und wann auch kleinere, doch die von gleichem Geschmack.  Im Scherze gesagt, dass auch Schütteln nichts bringt, bereue ich schon, wenn ich seh`, was der Großeiliebhaber dabei denkt.
 
Die Eltern freut es , wenn ihr Spross vom Exkurs zum Hof berichtet, immerhin ist es wichtig für die Gaming-Kids  zu sehn, wo denn täglich Brot und Ei und Co entstehen , aber der Geruch ist ja wirklich nicht schön.
 
Wie auch bei Ihnen gibt es solche und solche Tage.  
 
Die Tage, an denen Überraschen sticht. Erstaunen, wenn ich erzähle, dass mein Bauer nicht dumm dasitzt, für viele eine neue Sicht, für den Beruf studiert hat und zum Ingenieur im Hörsaal geschwitzt.   
 
Die Tage mit dickerem Fell, wenn ich daran teil haben kann, wie dieser Bauer mein Mann mit scharfem Verstand und sanfterem Herz die Natur in der Hand hält , Nahrung schafft, das älteste Gewerbe der Welt.  
 
Wenn der Sehnsuchtsort vieler das Zuhause meiner Kinder ist, sie mit  Opa und Papa großartig erleben, was manch andres Kind vermisst.
 
Dann kann ich auch  lachen, wenn persönliche Grenzen ignoriert, ein jeder besser weiß, wie wir es richtig machen und unser Einkommen diskutiert.  
 
Dann geh ich zum Vortrag ländlicher Geschichten, als Nicht-Bäuerin mit Job öD und Kind und Kegel vom Leben mit meinem Bauern zu berichten. 

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